Montag, 15. Oktober 2012

Unser (bisher unveröffentlichter) Artikel für das Debattenmagazin des SDS



Rückwärts nimmer -
Vorschlag zu einer kommunistischen Haltung

Ist Marx noch relevant?“ Die Frage taucht in abgewandelter Form spätestens seit der ominösen Krise, die monatlich ihre Gestalt ändert, vom Wirtschaftsteil bürgerlicher Zeitungen (auch der öffentlich-rechtliche Moloch darf da mal einen Robert Kurz reanimieren) bis zur kritischen Gruppe, überall auf, wenn dämmert, dass es ganz hübsch wäre, die Ursachen der ökonomischen Prozesse zu kennen. In einer Zeit, in der die griechische KKE eine relevante Kraft zu werden scheint, die von deutschen Medien geradeso verschwiegen werden kann, in der Gewerkschaften qualitative Forderungen erheben und seit gefühlten Urzeiten mal wieder Mitglieder gewinnen, wird der Marxismus also, gleichberechtigt neben Herbert Marcuse und Sascha Lobo, in die bürgerliche Diskursmaschine integriert. Aus der kommt er unentstellt nicht mehr heraus: In der bürgerlichen Kultur tauchen die Lehren Marx' und Engels' nur um ihre wesentlichen Bestandteile befreit auf, also undialektisch, unpolitisch, dem Kapitalismus ungefährlich. Was diese späten Bastarde Marxens besonders gerne übergehen, sind die historischen Erben seines Schaffens, die naturgemäß aus unserem Gesichtskreis zu verschwinden drohen.
Wenn man von einigen mutmaßlichen Austauschstudierenden aus der Republik Kuba absieht, werden in den nächsten Jahren keine Studierenden mehr an einer deutschen Universität beginnen, die den Sozialismus bewusst oder unbewusst miterlebt haben. Wie soll man das Unfassbare, das Ende des – wie es so schön scheiße heißt – realexistierenden Sozialismus erklären? Es war ein unbesiegbares System, das besiegt wurde. Über die Gründe wird heute noch gestritten. Auf der einen Seite stehen unterschiedliche historische Urteile über das Scheitern des Sozialismus; Kurt Gossweiler etwa, der sagt, der Revisionismus sei, angefangen bei Chruschtschow, vollendet von Gorbatschow, der Anfang vom Ende gewesen und die Aufweichung sozialistischer Grundsätze und -haltungen innerhalb kommunistischer Parteien habe zu deren Wandel hin zu einer imperialismusfreundlichen Politik geführt oder die Parteigänger Trotzkis, die die Ursache des Scheiterns früher ansiedeln und Kritik an der Außenpolitik Stalins und allgemein an dem Weg der jungen Sowjetunion nach dem Tode Lenins üben. Auf der anderen Seite stehen moralische Kritiker der DDR und der UdSSR, die von Zukunft und Überwindung reden, ohne, scheint's, genau zu wissen, was da überwunden werden und wohin die Reise gehen soll, außer zu einem nicht realexistierenden Sozialismus, also zu keinem. Um Missverständnissen vorzubeugen: Darüber, dass der Sozialismus, wie er war, nicht wieder kommt, herrscht mithin Einigkeit und sei den Traditionalisten an dieser Stelle eingebläut.
Es geht hier jedoch nicht um eine Analyse der DDR, sondern unter anderem um eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der DDR-Kritik. „Willst du denn die DDR wieder haben?“, gehört zu denjenigen Fragen, die man als Kommunist, also jemand, der das Gute, Wahre und Schöne nicht mit Blut und Boden, vorgefundenem Scheißdreck und vaterländischer Tradition in Verbindung bringt, sondern am Horizont erkennt, nicht zu beantworten braucht, wenn die Begriffsbildung vernünftige Wege gegangen ist. Sie ist außerdem eine, an der sich gut der Unterschied zwischen Wünschen und Wollen auseinandersetzen ließe.
Der Antikommunismus der Totalitarismustheoretiker dominiert derweil nicht nur die bürgerliche Öffentlichkeit der vorerst siegreichen BRD, sondern wird gerade unter Linken jedes Jahr von Neuem auf die Tagesordnung gesetzt, wobei man sich da schon fragen kann, warum, denn die DDRkritik kann man getrost der CDU überlassen, wo ihr natürlicher Lebensraum ist. Vorerst sitzen Schmutzgeier beliebiger politischer Couleur auf dem vermeintlichen Kadaver „der politisch gescheiterten Aufklärung“ (Dath) und krächzen umso lauter, je länger sie sich an ihm gütlich tun. (Überraschend lebendig, dieser Tote).
All die kapitalismuskritischen Bewegungen, die sich laufend moralische Siege bescheinigen und deren es mehr und mehr gibt, sind nur vereinzelter Abfluss dessen, was einmal Arbeiterbewegung hieß. Das heutige Zersplitterungselend versucht sich dem durch zwei Selbstlügen abzuhelfen: zum Einen die Rede von der Notwendigkeit polyphoner, pluralistischer Kritiken am Kapitalismus, denen eine postrevolutionäre Zeitgemäßheit beschieden wird, was sich praktisch als Märchen vom guten Kapitalismus figuriert und Gemächlichkeit der Ausbeutung meint. Zum Anderen der hundertste Versuch einer Bündelung der Kräfte in einer Partei, deren Namen konsequent das Erbe des Manifests verweigern und deren Ziele und Aufbau Lenin's Parteitheorie – hinter wenigstens die sollte man nicht mehr zurückfallen - gänzlich vernachlässigen.
Es steht außer Frage, dass das Zusammenführen linker Kräfte nützlich und notwendig ist. Angesichts der imperialistischen, bis zu Kriegseinsätzen sich steigernden Außenpolitik der Bundesrepublik, angesichts der offenen Bereitschaft, zu faschistischen Herrschaftsmethoden überzugehen, in der Innenpolitik, ist ein gemeinsamer Widerstand aller Linksdemokraten in Deutschland, ungeachtet der Verschiedenheiten in Weltanschauung und politischen Konzeptionen sinnvoll und unerlässlich“ (Holz) Solche Verbindungen haben ihre Grenzen im Marxismus, der zwar auf eine Pluralität von Perspektiven angewiesen ist, einen Pluralismus von Meinungen oder gar, wie uns die zeitgenössische kapitalistische Propaganda (Postmoderne) einzuhämmern versucht, „Wahrheiten“, kann es in ihm nicht geben. Marxistische Kategorien sind nur im Ganzen, also in ihrem Wesenzusammenhang, wirksam und ein von Lenin oder dem Sozialismus gesäuberter Marx ist allenfalls für diejenigen zu haben, die in eklektizistischer Manier löchrige Teppiche (also falsche Theorien) flechten.
Die unangenehmen Folgen des Fehlens einer kommunistischen Partei, bedeuten für die verstreuten Kommunnistinnen und Kommunisten weder die Auflösung des Ganzen, noch – was viel häufiger passiert – die Verwechslung ihrerselbst mit diesem. Die klare Rückbindung aller ohnehin vorhandenen Kritiken an die Frage der Produktions- und Eigentumsverhältnisse, daran erweist sich die Identität aller Kommunisten. Wer bei einer beliebigen Taktik den Marxismus aus seinem oder dem Blick der kapitalismuskritischen momentanen Partner gleiten lässt und das Zweckbündnis verewigt, verfällt schnell in jenen kleinbürgerlichen Subjektivismus, den, wer den Sozialismus anstrebt, hinter sich lassen sollte.
Das meint Haltung: In der gegenwärtigen Lage nicht dem Trugschluss aufzusitzen, irgendeine Linke oder Studentengruppe sei das Desiderat dessen, was ansteht. Die Organisationsfrage ist mitnichten durch linke Sammelbecken zu klären, sondern durch Einheit und Klarheit.
Diese Standfestigkeit wird einem – da die Partei antizipiert ist – niemand beibringen, doch dass man nicht bei fünf bis zehn Seiten Marx stehen bleiben darf, mag einleuchten. Nach den Marx-Lesekreisen des SDS hätten solche zu Lenin eindeutig zu folgen gehabt, um zu verdeutlichen, dass das Ziel in in einer bestimmten Richtung liegt und keinesfalls in einer unbestimmten.
Haltung zu bewahren hieße, sich als Kommunistin oder Kommunist zu bezeichnen und dies auch offensiv zu vertreten – die Schwierigkeiten dazu sind, trotz antikommunistischer Freischärler wie Gauck und Co., wie uns der schon erwähnte Dietmar Dath lehrt, viel geringer als noch zu Zeiten des Kalten Krieges. „Aber sag, wie hältst du's mit den Verbrechen der Sozialismus?“, so lautet die Gretchenfrage der Antikommunisten. Nein, es geht nicht um eine Vertuschung differenzierender Kritik, sondern um die Offenlegung, dass nivellierende Kritik an den historischen Errungenschaften der Arbeiterbewegung, eben der UdSSR, seit es sie gibt, immer dazu dient, die Einheit des organisierten Proletariats zu blockieren. Im Übrigen ziehen es auch Liberale vor, die Gründungsverbrechen der bürgerlichen Gesellschaft nicht ständig mitzubedenken, wenn sie die Errungenschaften des Kapitalismus preisen.

Der SDS ist ein pluralistischer Verband und findet das auch gut. Ziel ist eine gemeinsame Praxis, aber: Ein ungeklärtes Verhältnis von Theorie und Praxis führt derweil nicht nur zu fruchtloser Praxis, sondern auch zu theoretischen Absonderlichkeiten. Ein Beispiel: Der Feminismus ist – ganz zurecht – eines der wenigen halbwegs fundierten und verbindlichen Merkmale des theoretischen Bewusstseins des Verbandes, erfährt aber in aller Regel keinerlei Rückbindung zu marxistischen Kategorien, in denen er seinen Ort hat. Die freischwebende, mithin pluralistische, Theoriearbeit innerhalb des SDS ist ohne jeden Zusammenhang, es gibt kein ordnendes Allgemeines, Ganzes.
Ein Symptom dieses Symptoms ist der Artikel „Das Rad dreht sich weiter“ von Jakob Graf in der zweiten Ausgabe des Theorieblättchens Praxis, in dem es etwa heißt: „Als sozialistischer Studierendenverband streben wir, wenn wir unsere Denktraditionen ernst nehmen – eine herrschaftsfreie Gesellschaft an.“ Lesen wir, was einer unserer traditionellen Denker in der Kritik des Gothaer Programms zum Thema meint: „Zwischen (!) der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode (!) der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat (!) nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats. (Ausrufezeichen von uns)“ Man darf an dieser Stelle schon einmal fragen, wer eigentlich in den Marxlesekreisen gelesen wurde. Wenn ein sozialistischer (!) Studierendenverband den Sozialismus anstrebt, dann sollte man in ihm die Phrase von einer „herrschaftsfreien Gesellschaft“ durchaus einmal als Idee „verrückter Anarchisten“ abtun, deren Elend wesentlich darin besteht die Ziele ohne Mittel erreichen zu wollen. Des weiteren ist auch der Verweis auf „Denktraditionen“ auffällig, da unserem Verband gerade eine Rückbesinnung auf Handlungstraditionen gut zu Gesicht stünde.
Weiter: „Auch ist es oft nur Schein zu denken, dass Wohlfühl-Atmosphäre und Freude bei der politischen Arbeit die Effizienz beeinträchtigen. Wir brauchen sowohl 'Privates' als auch einen arbeitsfähigen Verband. Das scheint zu wenig klar zu sein.“ Soll wohl heißen: Was jemand „privat“ (s. pluralistischer Verband) im stillen Kämmerlein denkt, muss Gegenstand der Auseinandersetzung innerhalb des Verbands sein, damit dieser „effizient“ arbeiten kann und außerdem muss der Verband arbeitsfähig („effizient“) sein. Schöner Schluss! Die schlichte Tatsache, dass die Arbeit leichter von der Hand geht, wenn man auch Spaß dabei hat, bestreitet sowieso kein Mensch. Der Verweis gestattet aber, durch die Hintertür moralische Kategorien in die Diskussion einzuführen. Wie eine vernünftige Begriffsarbeit stattfinden soll, ohne, dass dabei auch einmal die Fetzen fliegen, verstehe wer will, ein Beitrag zur theoretischen Klarheit ist die Forderung einer „Wohlfühl-Atmosphäre“ jedenfalls nicht; sie ist nur der jammervolle Ausdruck dessen, dass dem/der einen oder anderen zu dämmern beginnt, dass Pluralismus nicht einfach nur ein Zustand ist, in dem von allen stillschweigend jeder Unfug geduldet wird, sondern möglicherweise auch einmal Unvereinbares gegeneinander kracht. Die Idee ist: Meinungsverschiedenheiten sind immer konsensfähig. Man muss doch nur miteinander reden. Dass es innerhalb des Verbandes unvereinbare Positionen gibt, wird vorsorglich gar nicht erst in Betracht gezogen. Forderungen nach einem inhaltslosem „Freiraum“, sprich: organisierter „Toleranz“, bedeuten eine Vertiefung willkürlich entstandener, also falscher Überzeugungen, deren Überwindung dem Verband zu wünschen ist.
Das einzige Mittel gegen solche Gefühlsgespinste ist eine einheitliche theoretische Grundlage. Ein klarer Begriff von Sozialismus und ein richtiges theoretisches wie praktisches Verständnis der Dialektik von Teil und Ganzem (Antikapitalismus ist ja ganz nett, er tut halt keinem weh, wenn er nur im abstrakt Negativen versumpft.) sind dafür notwendig zu erarbeiten, wenn die Einheit des Verbandes erhalten, besser: hergestellt werden soll. Alles Gerede um unbestimmte und also nutzlose Begriffe wie „Effizienzrevolution“, „Wissenshierarchie“ usw, die Aneinanderreihung von Phrasen („stummer Zwang ökonomischer Verhältnisse“, „Herrschaft ist immer ein gesamtgesellschaftliches Verhältnis“, „Artikulationen“ dürfen auch mal, weiß der Geier wie, „auf Stein beißen“, etc.), all das gehört ins „Museum der Altertümer“ (Auch von so einem traditionellen Denker).
Dass Jakob Graf überall „Probleme“, „Problematiken“ und deren „Problematisierungen“ beobachtet, wo Widersprüche bestehen, ist ebenso wenig hilfreich für die Einheit und Klarheit der Sozialistinnen und Sozialisten wie antikommunistische Propaganda, (da ist die Klassengesellschaft schon mal eine „durch Konkurrenz organisierte“ - Jakob Graf, nicht Rainer Brüderle), die auf dem Boden eines pluralistischen Verbandes notwendig wächst.
Es ist nicht die Zeit, „Spannungsfelder“ zu beackern, sondern die noch nicht abgestorbenen Wurzeln zu wässern.


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