Rückwärts
nimmer -
Vorschlag zu
einer kommunistischen Haltung
„Ist Marx
noch relevant?“ Die Frage taucht in abgewandelter Form spätestens
seit der ominösen Krise, die monatlich ihre Gestalt ändert, vom
Wirtschaftsteil bürgerlicher Zeitungen (auch der
öffentlich-rechtliche Moloch darf da mal einen Robert Kurz
reanimieren) bis zur kritischen Gruppe, überall auf, wenn dämmert,
dass es ganz hübsch wäre, die Ursachen der ökonomischen Prozesse
zu kennen. In einer Zeit, in der die griechische KKE eine relevante
Kraft zu werden scheint, die von deutschen Medien geradeso
verschwiegen werden kann, in der Gewerkschaften qualitative
Forderungen erheben und seit gefühlten Urzeiten mal wieder
Mitglieder gewinnen, wird der Marxismus also, gleichberechtigt neben
Herbert Marcuse und Sascha Lobo, in die bürgerliche Diskursmaschine
integriert. Aus der kommt er unentstellt nicht mehr heraus: In der
bürgerlichen Kultur tauchen die Lehren Marx' und Engels' nur um ihre
wesentlichen Bestandteile befreit auf, also undialektisch,
unpolitisch, dem Kapitalismus ungefährlich. Was diese späten
Bastarde Marxens besonders gerne übergehen, sind die historischen
Erben seines Schaffens, die naturgemäß aus unserem Gesichtskreis zu
verschwinden drohen.
Wenn man von
einigen mutmaßlichen Austauschstudierenden aus der Republik Kuba
absieht, werden in den nächsten Jahren keine Studierenden mehr an
einer deutschen Universität beginnen, die den Sozialismus bewusst
oder unbewusst miterlebt haben. Wie soll man das Unfassbare, das Ende
des – wie es so schön scheiße heißt – realexistierenden
Sozialismus erklären? Es war ein unbesiegbares System, das besiegt
wurde. Über die Gründe wird heute noch gestritten. Auf der einen
Seite stehen unterschiedliche historische Urteile über das Scheitern
des Sozialismus; Kurt Gossweiler etwa, der sagt, der Revisionismus
sei, angefangen bei Chruschtschow, vollendet von Gorbatschow, der
Anfang vom Ende gewesen und die Aufweichung sozialistischer
Grundsätze und -haltungen innerhalb kommunistischer Parteien habe zu
deren Wandel hin zu einer imperialismusfreundlichen Politik geführt
oder die Parteigänger Trotzkis, die die Ursache des Scheiterns
früher ansiedeln und Kritik an der Außenpolitik Stalins und
allgemein an dem Weg der jungen Sowjetunion nach dem Tode Lenins
üben. Auf der anderen Seite stehen moralische Kritiker der DDR und
der UdSSR, die von Zukunft und Überwindung reden, ohne, scheint's,
genau zu wissen, was da überwunden werden und wohin die Reise gehen
soll, außer zu einem nicht realexistierenden Sozialismus, also zu
keinem. Um Missverständnissen vorzubeugen: Darüber, dass der
Sozialismus, wie er war, nicht wieder kommt, herrscht mithin
Einigkeit und sei den Traditionalisten an dieser Stelle eingebläut.
Es geht hier
jedoch nicht um eine Analyse der DDR, sondern unter anderem um eine
Auseinandersetzung mit dem Phänomen der DDR-Kritik. „Willst du
denn die DDR wieder haben?“, gehört zu denjenigen Fragen, die man
als Kommunist, also jemand, der das Gute, Wahre und Schöne nicht mit
Blut und Boden, vorgefundenem Scheißdreck und vaterländischer
Tradition in Verbindung bringt, sondern am Horizont erkennt, nicht zu
beantworten braucht, wenn die Begriffsbildung vernünftige Wege
gegangen ist. Sie ist außerdem eine, an der sich gut der Unterschied
zwischen Wünschen und Wollen auseinandersetzen ließe.
Der
Antikommunismus der Totalitarismustheoretiker dominiert derweil nicht
nur die bürgerliche Öffentlichkeit der vorerst siegreichen BRD,
sondern wird gerade unter Linken jedes Jahr von Neuem auf die
Tagesordnung gesetzt, wobei man sich da schon fragen kann, warum,
denn die DDRkritik kann man getrost der CDU überlassen, wo ihr
natürlicher Lebensraum ist. Vorerst sitzen Schmutzgeier beliebiger
politischer Couleur auf dem vermeintlichen Kadaver „der politisch
gescheiterten Aufklärung“ (Dath) und krächzen umso lauter, je
länger sie sich an ihm gütlich tun. (Überraschend lebendig, dieser
Tote).
All die
kapitalismuskritischen Bewegungen, die sich laufend moralische Siege
bescheinigen und deren es mehr und mehr gibt, sind nur vereinzelter
Abfluss dessen, was einmal Arbeiterbewegung hieß. Das heutige
Zersplitterungselend versucht sich dem durch zwei Selbstlügen
abzuhelfen: zum Einen die Rede von der Notwendigkeit polyphoner,
pluralistischer Kritiken am Kapitalismus, denen eine
postrevolutionäre Zeitgemäßheit beschieden wird, was sich
praktisch als Märchen vom guten Kapitalismus figuriert und
Gemächlichkeit der Ausbeutung meint. Zum Anderen der hundertste
Versuch einer Bündelung der Kräfte in einer Partei, deren Namen
konsequent das Erbe des Manifests verweigern und deren Ziele und
Aufbau Lenin's Parteitheorie – hinter wenigstens die sollte man
nicht mehr zurückfallen - gänzlich vernachlässigen.
„Es steht
außer Frage, dass das Zusammenführen linker Kräfte nützlich und
notwendig ist. Angesichts der imperialistischen, bis zu
Kriegseinsätzen sich steigernden Außenpolitik der Bundesrepublik,
angesichts der offenen Bereitschaft, zu faschistischen
Herrschaftsmethoden überzugehen, in der Innenpolitik, ist ein
gemeinsamer Widerstand aller Linksdemokraten in Deutschland,
ungeachtet der Verschiedenheiten in Weltanschauung und politischen
Konzeptionen sinnvoll und unerlässlich“ (Holz) Solche Verbindungen
haben ihre Grenzen im Marxismus, der zwar auf eine Pluralität von
Perspektiven angewiesen ist, einen Pluralismus von Meinungen oder
gar, wie uns die zeitgenössische kapitalistische Propaganda
(Postmoderne) einzuhämmern versucht, „Wahrheiten“, kann es in
ihm nicht geben. Marxistische Kategorien sind nur im Ganzen, also in
ihrem Wesenzusammenhang, wirksam und ein von Lenin oder dem
Sozialismus gesäuberter Marx ist allenfalls für diejenigen zu
haben, die in eklektizistischer Manier löchrige Teppiche (also
falsche Theorien) flechten.
Die
unangenehmen Folgen des Fehlens einer kommunistischen Partei,
bedeuten für die
verstreuten Kommunnistinnen und Kommunisten weder die Auflösung des
Ganzen, noch – was viel häufiger passiert – die Verwechslung
ihrerselbst mit diesem. Die klare Rückbindung aller ohnehin
vorhandenen Kritiken an die Frage der Produktions- und
Eigentumsverhältnisse, daran erweist sich die Identität aller
Kommunisten. Wer bei einer beliebigen Taktik den Marxismus aus seinem
oder dem Blick der kapitalismuskritischen momentanen Partner gleiten
lässt und das Zweckbündnis verewigt, verfällt schnell in jenen
kleinbürgerlichen Subjektivismus, den, wer den Sozialismus anstrebt,
hinter sich lassen sollte.
Das
meint Haltung: In der gegenwärtigen Lage nicht dem Trugschluss
aufzusitzen, irgendeine Linke oder Studentengruppe sei das Desiderat
dessen, was ansteht. Die Organisationsfrage ist mitnichten durch
linke Sammelbecken zu klären, sondern durch Einheit und
Klarheit.
Diese
Standfestigkeit wird einem – da die Partei antizipiert ist –
niemand beibringen, doch dass man nicht bei fünf bis zehn Seiten
Marx stehen bleiben darf, mag einleuchten. Nach den Marx-Lesekreisen
des SDS hätten solche zu Lenin eindeutig zu folgen gehabt, um zu
verdeutlichen, dass das Ziel in in einer bestimmten Richtung liegt
und keinesfalls in einer unbestimmten.
Haltung zu
bewahren hieße, sich als Kommunistin oder Kommunist zu bezeichnen
und dies auch offensiv zu vertreten – die Schwierigkeiten dazu
sind, trotz antikommunistischer Freischärler wie Gauck und Co., wie
uns der schon erwähnte Dietmar Dath lehrt, viel geringer als noch zu
Zeiten des Kalten Krieges. „Aber sag, wie
hältst du's mit den
Verbrechen der Sozialismus?“, so lautet die Gretchenfrage der
Antikommunisten. Nein, es geht nicht um eine Vertuschung
differenzierender Kritik, sondern um die Offenlegung, dass
nivellierende Kritik an den historischen Errungenschaften der
Arbeiterbewegung, eben der UdSSR, seit es sie gibt, immer dazu dient,
die Einheit des organisierten Proletariats zu blockieren. Im Übrigen
ziehen es auch Liberale vor, die Gründungsverbrechen der
bürgerlichen Gesellschaft nicht ständig mitzubedenken, wenn sie die
Errungenschaften des Kapitalismus preisen.
Der
SDS ist ein pluralistischer Verband und findet das auch gut. Ziel ist
eine gemeinsame Praxis, aber: Ein ungeklärtes Verhältnis von
Theorie und Praxis führt derweil nicht nur zu fruchtloser Praxis,
sondern auch zu theoretischen Absonderlichkeiten. Ein Beispiel: Der
Feminismus ist – ganz zurecht – eines der wenigen halbwegs
fundierten und verbindlichen Merkmale des theoretischen Bewusstseins
des Verbandes, erfährt aber in aller Regel keinerlei Rückbindung zu
marxistischen Kategorien, in denen er seinen Ort hat. Die
freischwebende, mithin pluralistische, Theoriearbeit innerhalb des
SDS ist ohne jeden Zusammenhang, es gibt kein ordnendes Allgemeines,
Ganzes.
Ein
Symptom dieses Symptoms ist der Artikel „Das Rad dreht sich weiter“
von Jakob Graf in der zweiten Ausgabe des Theorieblättchens Praxis,
in dem es etwa heißt: „Als sozialistischer Studierendenverband
streben wir, wenn wir unsere Denktraditionen ernst nehmen – eine
herrschaftsfreie Gesellschaft an.“ Lesen wir, was einer unserer
traditionellen Denker in der Kritik des Gothaer Programms zum Thema
meint: „Zwischen (!) der kapitalistischen und der kommunistischen
Gesellschaft liegt die Periode (!) der revolutionären Umwandlung der
einen in die andre. Der entspricht auch eine politische
Übergangsperiode, deren Staat (!) nichts andres sein kann als die
revolutionäre
Diktatur des Proletariats.
(Ausrufezeichen von uns)“ Man darf an dieser Stelle schon einmal
fragen, wer eigentlich in den Marxlesekreisen gelesen wurde. Wenn ein
sozialistischer (!) Studierendenverband den Sozialismus anstrebt,
dann sollte man in ihm die Phrase von einer „herrschaftsfreien
Gesellschaft“ durchaus einmal als Idee „verrückter Anarchisten“
abtun, deren Elend wesentlich darin besteht die Ziele ohne Mittel
erreichen zu wollen. Des weiteren ist auch der Verweis auf
„Denktraditionen“ auffällig, da unserem Verband gerade eine
Rückbesinnung auf Handlungstraditionen gut zu Gesicht stünde.
Weiter:
„Auch ist es oft nur Schein zu denken, dass Wohlfühl-Atmosphäre
und Freude bei der politischen Arbeit die Effizienz beeinträchtigen.
Wir brauchen sowohl 'Privates' als auch einen arbeitsfähigen
Verband. Das scheint zu wenig klar zu sein.“ Soll wohl heißen: Was
jemand „privat“ (s. pluralistischer Verband) im stillen
Kämmerlein denkt, muss Gegenstand der Auseinandersetzung innerhalb
des Verbands sein, damit dieser „effizient“ arbeiten kann und
außerdem muss
der Verband arbeitsfähig („effizient“) sein. Schöner Schluss!
Die schlichte Tatsache, dass die Arbeit leichter von der Hand geht,
wenn man auch Spaß dabei hat, bestreitet sowieso kein Mensch. Der
Verweis gestattet aber, durch die Hintertür moralische Kategorien in
die Diskussion einzuführen. Wie eine vernünftige Begriffsarbeit
stattfinden soll, ohne, dass dabei auch einmal die Fetzen fliegen,
verstehe wer will, ein Beitrag zur theoretischen Klarheit ist die
Forderung einer „Wohlfühl-Atmosphäre“ jedenfalls nicht; sie ist
nur der jammervolle Ausdruck dessen, dass dem/der einen oder anderen
zu dämmern beginnt, dass Pluralismus nicht einfach nur ein Zustand
ist, in dem von allen stillschweigend jeder Unfug geduldet wird,
sondern möglicherweise auch einmal Unvereinbares gegeneinander
kracht. Die Idee ist: Meinungsverschiedenheiten sind immer
konsensfähig. Man muss doch nur miteinander reden. Dass es innerhalb
des Verbandes unvereinbare Positionen gibt, wird vorsorglich gar
nicht erst in Betracht gezogen. Forderungen nach einem inhaltslosem
„Freiraum“, sprich: organisierter „Toleranz“, bedeuten eine
Vertiefung willkürlich entstandener, also falscher Überzeugungen,
deren Überwindung dem Verband zu wünschen ist.
Das
einzige Mittel gegen solche Gefühlsgespinste ist eine einheitliche
theoretische Grundlage. Ein klarer Begriff von Sozialismus und ein
richtiges theoretisches wie praktisches Verständnis der Dialektik
von Teil und Ganzem (Antikapitalismus ist ja ganz nett, er tut halt
keinem weh, wenn er nur im abstrakt Negativen versumpft.) sind dafür
notwendig zu erarbeiten, wenn die Einheit des Verbandes erhalten,
besser: hergestellt werden soll. Alles Gerede um unbestimmte und also
nutzlose Begriffe wie „Effizienzrevolution“, „Wissenshierarchie“
usw, die Aneinanderreihung von Phrasen („stummer Zwang ökonomischer
Verhältnisse“, „Herrschaft ist immer ein
gesamtgesellschaftliches Verhältnis“, „Artikulationen“ dürfen
auch mal, weiß der Geier wie, „auf Stein beißen“, etc.), all
das gehört ins „Museum der Altertümer“ (Auch von so einem
traditionellen Denker).
Dass
Jakob Graf überall „Probleme“, „Problematiken“ und deren
„Problematisierungen“ beobachtet, wo Widersprüche bestehen, ist
ebenso wenig hilfreich für die Einheit und Klarheit der
Sozialistinnen und Sozialisten wie antikommunistische Propaganda, (da
ist die Klassengesellschaft schon mal eine „durch Konkurrenz
organisierte“ - Jakob Graf, nicht Rainer Brüderle), die auf dem
Boden eines pluralistischen Verbandes notwendig wächst.
Es
ist nicht die Zeit, „Spannungsfelder“ zu beackern, sondern die
noch nicht abgestorbenen Wurzeln zu wässern.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen